Freitag, 27. Februar 2015

Kigali

Irgendwie kennt man die Stadt, von damals, 1994, beklemmend der Genozid von Rwanda. Wir besuchen das Kigali Memorial Centre, die Gedenkstätte für den Völkermord und wo 250'000 Menschen, meist namenlos, in Massengräbern beerdigt sind. Wo war ich damals – als die Welt weggeschaut hat? Knapp 25ig... andere Themen waren wichtig.
Weit unten in Afrika besiegelte Südafrika zu dieser Zeit das Ende
der Apartheitspolitik, finally grosses Kino, und nach dem Desaster in Somalia 2002, das klägliche Versagen der Uno-Mission – war schlicht kein Interesse für Themen im zentralen Afrika. Und so fand der Völkermord von Rwanda statt – unbeachtet von der überforderten Weltherrschaft. Wie kam es dazu, dass zwischen 800'000 und einer Million Menschen das Leben verloren, im Twist der Hutu gegen die Tutsi. Die Geschichte beginnt wie immer viel früher – mit der Kolonialisierung. Anfangs waren die Deutschen, welche die Politik der indirekten Herrschaft verfolgten, sie installierten eine vor Ort einflussreiche Schicht, welche sie ihrem Regieren „vorschalteten“. Dazu wählten sie die Tutsi, die Viehzüchter, welche über die Ackerbauern, die Hutu, herrschten. Sie interpretierten die abgestuften Sozialbeziehungen in Rwanda auf der Basis der rassistischen, in Europa entwickelten Hamitentheorie. Sie gingen davon aus, die Tutsi seien vor Jahrhunderten in das Gebiet der Afrikanischen Großen Seen eingewanderte Niloten, die mit kaukasischen und damit europäischen Völkern verwandt seien. Dies begründe ihre Herrschaft über die als weniger hoch stehend wahrgenommenen „negriden“ Ethnien Zentralafrikas, zu denen in den Augen der Deutschen die Hutu gehörten.
Nach dem 1. Weltkrieg übernahmen die Belgier das System und stempelten ab
1934 die Rassenzugehörigkeit in die Ausweispapiere (und mir kam dazu grad die Schweiz mit dem Judenstempel in den Sinn, scheinbar war das damals en vogue, Klarheit zu schaffen). Und die Kirche mit den Missionaren half bei der Förderung der Tutsi wacker mit.
Nach dem 2. Weltkrieg wandelte sich das Selbstverständnis der Missionare. Sie verstanden sich zunehmend als Helfer und Sprachrohr der unterprivilegierten Hutu, nicht mehr als Förderer der Tutsi-Elite. Die Schulen boten verstärkt auch für Hutu den Zugang zu westlicher Bildung. Die entstehende Hutu-Elite, bildete zunehmend ein Gegengewicht zur Tutsi-Herrschaft und drängte auf politische Teilhabe und Demokratisierung des Landes. Die erste Eskaltation der Hutus gegen die Tutsis fand im November 1959 mit einigen tausend Toten statt. Nachdem die Belgier die Ordnung mit der Armee wiederhergestellt hatten, ersetzen sie in vielen Ämtern die Tutsi Elite durch Hutus. Mit der Unabhängigkeit Rwandas wurden die Hutus weiter gefördert, eine Art „schwarze Apartheid“ trennte die unterdessen regierenden Hutu von den Tutsi, ganze Dörfer wurden in Reservate zwangsumgesiedelt und es kam in regelmässigen Abständen zu Massakern an der Minterheit. 1973 putschte sich General Juvénal Habyarimana, ein Hutu aus dem Norden Rwandas, an die Macht. Seine Diktatur, alimentiert vom Schutzpatron Frankreich, sollte 21 Jahre währen.
Er richtete eine auf ihn zugeschnittene Einheitspartei ein und daneben setzten er und seine gewiefte, machtbessene Ehefrau Agathe auf das Militär und auf, mit viel Reichtümern unterstützte, Clan- und Verwandschaftsbeziehungen zur Absicherung seiner Machtbasis. Mit Aussendruck der Befreiungsarmee (RPF Ruandische Patriotische Front), der Weltbank und diverser Geberländer, die drohten die Entwicklungshilfe zu reduzieren, sah sich die Regierung gezwungen, demokratische Reformen einzuleiten. Am 6. April 1994 kurz nach 8 Uhr abends wurde Habyarimana im Flugzeug auf der Rückkehr von Dar-es-Salaam beim Anflug auf Kigali abgeschossen, die Umstände sind bis heute noch ungeklärt. Das Attentat ist der Auftakt zum Massenmord. Schon in der ersten Nacht und am darauffolgenden Vormittag lassen die Drahtzieher alle machtpolitisch wichtigen Konkurrenten sowie Dissidenten, allen voran die Premierministerin Agathe Uwilingiyiama, eine Symbolgestalt der Demokratisierung, hinrichten.
Der Völkermord, die Stimmungshetze bei den Hutu mit schockierender Propaganda durch die staatlich kontrollierten Medien, „The Hutu Ten Commandments“, die Eigendynamik des entfesselten Mobs und schlussendlich die Eskalation von Gewaltsexzessen mit regelrechten Abschlachtungen waren von langer Hand geplant. An der Spitze einer Gruppe von Offizieren, die nach dem Attentat die Macht an sich gerissen haben, steht Théoneste Bagasora. Ihm kam dabei die Rolle eines „schwarzen Heydrich“ zu, er skizzierte die Grundzüge der rwandischen „Endlösung“. Die Welt zieht als Sofortmassnahme die Blauhelmtruppen zurück, evakuiert ausländische Staatsbürger und überlasst das Land seinem Schicksal. Und dieses rafft je nach Quelle in knapp 3 Monaten zwischen einer halben und einer Million Menschen dahin. Brutal ermordet mit penibler Grausamkeit – Macheten, Buschmessern, Äxten aber auch mit Gewehren, Handgranaten – Dörfer werden regelrecht gesäubert und niedergebrannt. Tutsi suchen oft in Gemeinschaft Schutz – ein fataler Irrtum, das Morden geht in diesem Setting umso effizenter. Hilferufe wurden verkannt oder ignoriert und das ist wahrscheinlich ein Ursprung, dass wir zwar von diesem Völkermord wissen, aber Rwanda beklemmt, beschämt und handlungsunfähig auf der geistigen Landkarte gestrichen haben. Und das ist ein fataler Fehler...
Zurück zur Geschichte – der Genozid fand sein Ende Mitte Juli. Mit der Opération Turquoise schufen die Franzosen einen Cordon sanitaire, durch den die Massenmörder nach Kongo fliehen konnten – ein letzter Freundschaftsdienst an der Despotie der Hutu. Aber mit ihnen flohen aber auch über eine Millionen Menschen über die Grenze bei Gisenyi nach Goma – eine der grössten Massenfluchten seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Danach begann ein langwieriger Prozess zur Rückkehr ins Leben – Aufbau, Justiz, Versöhnung, Vergebung, Courrant normal. Das  Rassenthema hat keinen Platz mehr, we are all one! Spannend auf dem Weg ins Jetzt sind dabei die Cacaca Gerichte, neben Gerichtshöfen in Den Haag und Arusha, wurde eine dritte Kammer eingerichtet, auf Gemeindeebene. Die Cacaca Courts basieren auf Stammestraditionen, wo der Dorf-Chief und von der Gemeinschaft auserwählte Bürger, Zwiste und Konflikte mit einer Mediation schlichteten. In der Neuauflage dieses Instruments geht es um die Aufdeckung des Geschehenen, der Wahrheitsfindung, der Entschuldigung, des Vergebens und schlussendlich der Versöhnung.
Heute merke ich als Besucher von Rwanda nichts mehr davon – das Land hat gute Vibes, was aber nicht darüber hinwegtäuscht, dass mit der Freilassung von „verurteilten“ Tätern die Angst vor Vergeltung und Selbstjustiz aufkeimt. Die Geschichte fesselt mich, ich will dranbleiben wie’s in diesem Land weitergeht. Das Memorial ist sehr gut gemacht, es geht unter die Haut, bewegt, fährt ein... und wieder einmal sage ich: nie wieder!
Die Sonne scheint, es ist heiss – an der anderen Hügelseite sehe ich
die Hochhäuser von Kigali. Die Stadt lebt, sie pulsiert – ich bin erstaunt und zugleich fasziniert.
Der Nachmittag mit einem kleinen Stadtrundgang und Töfftaxi-Fahrt auf eigene Faust überzeugt mich von einem aufstrebenden Land, wo alles läuft – ich geniesse einen feinen Rwanda Coffee in einer Bäckerei mit einer riesigen Auswahl an Gebäck und Torten. Abends essen wir beim Italiener und da wir schon mal mittendrin sind, gehen wir auf den Tanz. Im Rosty Club trampen wir völlig zufällig in einen Schuppen, wo Live-Bands und Acts unter freiem Himmel die Stimmung anheizen.
Der Gegensatz zu den Eindrücken am Morgen ist frappant... ich werde schnell ins Hier und Jetzt mitgenommen. Das einzig leicht Irritiende sind die vielen Scanner überall in der Stadt, in Einkaufszentren, Shops aber auch in unserer Bar (obwohl, wir sind trotz Pfeiffgeräusch schnell und unkompliziert drin) und eine hohe Dichte von Polizeipräsenz.
However, wir tanzen den Rhythmus... und lernen heute abend, dass
es auch in Bars clevere Mass-Geräte gibt und wir nicht nicht immer die „ganze“ Flasche Gin kaufen sollten. Ein perfekter Tag mit vielen Eindrücken, die man auf einer Afrikareise nie und nimmer erwartet. Ich bin grad ein bisschen Fan von dieser Stadt und diesem Land.

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